Falscher Roman aus Gerüchten und Geheimnissen
*Dan Lungu: Das Hühnerparadies, Roman, Residenz, St. Pölten-Salzburg, 2007. 208 S., 17,90 Euro
Alles passiert entlang einer Straße. Zwischen einem steilen Abhang und einer unsichtbaren Stadt, die eine potenzielle Drohung darstellt: Von dort kommen doch viele und vieles, auch die Neuigkeiten, die über Nacht alles auf den Kopf stellen können … Diese Straße ist aber kein Ende der Welt, eher eine Pufferzone zwischen der in Rumänien immer noch zu entdeckenden traditionellen Lebensart und – der globalisierten Welt. Verlierer und Gewinner des Globalisierungs-prozesses sind die Bewohner der Akazienstraße, deren tägliches Ritual es ist, zur einzigen vorhandenen Kneipe mit dem einmaligen Namen „Zum zerknautschten Traktor“ zu marschieren, um dort die Welt „wieder in Ordnung zu bringen“. Egal ob es sich um die vom Wirt verbotene Auseinandersetzung mit dem „durchlöcherten“ Ceausescu, also um die Erinnerungen an „gute alte Zeiten“ handelt oder um die mysteriöse Innenausstattung im Haus des Obersts, das nie ein Mensch aus der Nachbarschaft betreten hat. Egal ob es um den Garten eines Dorfbewohners geht, der eines Tages von Regenwürmern überschwemmt wird, oder um eine junge Frau, die von einem Unbenannten, der sich letztlich doch als Bekannter erweist, ein Kind erwarten soll – ein uralter Trick, um die Zustimmung der Eltern für die Ehe zu erzwingen.
Der „falsche Roman aus Gerüchten und Geheimnissen“, wie der 1969 geborene rumänische Autor Dan Lungu sein Roman „Hühnerparadies“ im Untertitel nennt, ist der Roman eines gegenwärtigen rumänischen Dorfes, das zum städtischen Vorort, zu einer sogenannten Mahala, verkommen ist. Ein Ort, wo eigentlich nichts passiert. Genau wie in Politik, die woanders und zum Wohle anderer gemacht wird. Niemand fühlt sich gefordert oder gebraucht.
Dennoch ruft die Begegnung des Lesers mit diesem Monstrum, das Leere heißt, keine Langeweile hervor, wie man annehmen würde, sondern eine Art Unruhe, die sich überträgt, weil sie überzeugend dargestellt wird. Unter der Oberfläche selbstzufriedener, tödlicher Monotonie, die ähnlich eines leerlaufenden Motors nicht aussetzt, tobt eine verrückte Freude des Protagonisten am Geschichtenerzählen bzw. -hören. Die Gerüchte werden, wie beim Kinderspiel „Stille Post“, immer wieder abgewandelt, so dass irgendwann kaum mehr zu erkennen ist, wo sie ihren Ausgang nahmen, und sich schließlich herausstellt, dass es nicht darum geht, ob das Erzählte wahr oder erfunden ist, sondern ob es gut erzählt wurde. Humor, Ironie und eine besondere Ausprägung des Fatalismus umspannen die Schwankungen zwischen der Realität anekdotischer Erinnerungen und dem Irrsinn postkommunistischer Gegenwart.
Soziologe von Beruf, gelingt Dan Lungu als Romanautor eine kritische, aber liebevolle Röntgenaufnahme des Ortes, der – aus der Perspektive seiner Einwohner – lediglich aus „Hühnerparadiesen“ besteht: Eine präzise Bestandsaufnahme rumänischer Vorstädte, in denen die Spuren der Vergangenheit, also die Folgen kommunistischer Machtausübung und Parteiwillkür, noch überall gegenwärtig sind.
Die Sympathie Lungus für seine Figuren ist nicht zu verkennen. Auch die lebendige, farbenreiche Sprache, im Argot der Dorfbewohner verankert, spricht dafür: „Du glotzt in die überfüllten Regale, schluckst kräftig und gehst wieder nach Hause. Die Spucke-Produktion ist so gestiegen, dass man welche exportieren könnte.“
2005 erschien das „Hühnerparadies“ auf Französisch und auch die Übersetzung ins Deutsche von Aranca Munteanu ist gelungen. Der Roman wurde schon mehrfach rezensiert und vom „Perlentaucher“ zum Buch des Monats Dezember 2007 ausgewählt. Dan Lungu wird uns bestimmt noch viel Überraschendes zu bieten haben, dem wir gespannt entgegenblicken.
Traian Pop Traian